„A common word“

Eine Welle der Empörung schwappt durch manche christliche Kreise: 138 muslimische Gelehrte und Führer haben einen Brief an die christliche Welt gerichtet, die zum Dialog auf Grundlage des beiden Glaubenstraditionen gemeinsamen Gebots zur Liebe Gottes und des Nächsten aufruft. Aus diesem Dialog soll eine friedliche(re) Beziehung hervorgehen – was von vielen Christen, auch aus der evangelikalen Ecke, wohlwollend aufgenommen wurde. Nachzulesen sind die betreffenden Dokumente hier:

Der Brief der Muslime

Eine Antwort zahlreicher bekannter christlicher Leiter aus den USA, unter anderem Rick Warren, Bill Hybels und auch – für mich besonders relevant – Bert Waggoner und weitere Persönlichkeiten aus der Vineyard-Bewegung.

Dieser Vorgang wird nun in besagten Kreisen kräftig skandalisiert; stellvertretend sei folgender Foreneintrag genannt, auf den ich mich im Folgenden beziehen möchte: http://irrglaube.parlaris.com/ftopic8711.html

Was mir persönlich bei diesem Eintrag schon bitter aufstößt, noch bevor ich mich überhaupt mit dem muslimischen Brief und der christlichen Reaktion beschäftigt habe und irgendetwas zu den erhobenen Vorwürfen des Abfalls vom Evangelium sagen kann, ist, dass er mit „Führende Evangelikale befürworten Dialog mit dem Islam – Ein christlicher Brief an Muslime offenbart die Abkehr vom biblischen Evangelium “ übertitelt ist. Irgendwie beschleicht mich da das Gefühl, dass schon der Dialog – das Miteinander reden an sich – als grundsätzlich fragwürdig empfunden wird. Aber ich will ich mich gar nicht auf vage Eindrücke fixieren, sondern mich mit den expliziten Aussagen des Textes beschäftigen. Und da habe ich mit manchem meine Probleme.

„In [dem Brief] rufen die moslemischen Würdenträger die Christen dazu auf, gemeinsam mit ihnen für den Frieden in der Welt zusammenzuarbeiten. […] Das ist weltlich-politisches Kalkül; gläubige Christen wissen, daß die Feindschaft des Islam gegen das echte Christentum wie auch gegen das Judentum geistliche Wurzeln hat, und daß nur Jesus Christus als der wiederkommende König Frieden und Gerechtigkeit in diese dunkle Welt bringen kann.“

Wahr ist aus biblischer Sicht, dass die Feindschaft zwischen Islam und Christentum geistliche Wurzeln hat. Nicht wahr ist dagegen, dass erst mit der Wiederkunft von Jesus Friede und Gerechtigkeit in die Welt kommen wird. Stattdessen wird mit der Wiederkunft von Jesus Unfriede und Ungerechtigkeit endgültig verschwinden. Und das ist ein großer Unterschied – nämlich dahingehend, dass die Bibel uns sehr wohl dazu aufruft, uns für Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt einzusetzen, selbst wenn diese Bemühungen vor der Wiederkunft von Jesus nicht restlos erfolgreich sein können. Die grundsätzliche Bereitschaft, einen Dialog mit Muslimen zum Zwecke eines besseren Miteinander zu versuchen, ist nicht mehr oder weniger weltliches (soll heißen: ungeistliches) Kalkül, wie die grundsätzliche Bereitschaft, ein gutes Verhältnis mit meinem Nachbarn anzustreben, der Atheist ist und Christen doof findet. Merke: In Dialog treten heißt nicht zwangsläufig, seine Standpunkte aufzugeben.

„Der muslimische Brief fand ein wohlwollendes Echo bei der katholischen Kirche und den liberalen, ohnehin von Christus abgefallenen Großkirchen sowie dem ökumenischen Weltkirchenrat. Sie alle arbeiten ja schon lange auf den „Dialog zwischen den Weltreligionen“ hin, der letztlich darauf hinzielt, eine einzige große „Welteinheitskirche“ zu schaffen, in der alle Weltreligionen eingegliedert werden.“

Dieses Urteil sollte man – bei allen Bauchschmerzen bezüglich konkreter Einzelfälle – in dieser Pauschalität vielleicht doch lieber Gott selbst überlassen. Mehr dazu im letzten Absatz.

Was haben diese [evagelikalen Führer], die sich doch zum biblischen Evangelium bekennen, unterschrieben? Ein Dokument der Anbiederung an den Islam und seinen heidnischen Gott, das letztlich das biblische Evangelium, die biblische Gottesoffenbarung und besonders den herrlichen,heiligen Sohn Gottes, unseren kostbaren Herrn und Erlöser, verleugnet!

Das wäre nun allerdings ein Skandal. Aber stehen diese Dinge tatsächlich in besagtem Dokument? Tatsache ist, dass es im Brief der Evangelikalen um Gemeinsamkeiten und Verfehlungen von Christen gegenüber Muslimen geht (zur Frage der Gemeinsamkeiten unten mehr). Eine Verleugnung von Jesus, des herrlichen, heiligen Sohnes Gottes, unseres kostbaren Herrn und Erlösers kann ich allerdings nicht darin finden. Gegenstand des Dialogs ist nicht „Wer ist Jesus – Prophet Allahs oder Sohn Gottes?“, sondern „Wie können wir einen Weg finden, uns künftig nicht bis aufs Blut zu hassen?“ – was trotz unvereinbarer Standpunkte möglich sein könnte. Das Wesen Jesu wird in der Antwort der Evangelikalen nicht angesprochen, weil es in diesem Zusammenhang nichts zur Sache tut. Eine Verleugnung wäre es dann, wenn im Antwortbrief sinngemäß stehen würde: „Ihr habt recht – Jesus war wirklich nicht der Sohn Gottes“.

Nun folgen unter thesenhaft zusammengefassten Überschriften die vermeintlichen Belege für die gerade kommentierte Passage:

„Der Gott der Bibel, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, wird mit dem Allah des Koran gleichgesetzt.“

Schlicht und ergreifend: Nein. Im Foreneintrag fehlt bezeichnenderweise der Hinweis auf eine konkrete Textpassage im Brief der Evangelikalen, der diese Aussage beinhalten soll. Wahrscheinlich wird hier Bezug genommen auf die postulierte Gemeinsamkeit, dass sowohl Moslems als auch Christen Gott lieben (sollen). Die Aussage „Uns ist gemeinsam, dass wir unseren Gott mit all unserem Sein lieben sollen“ beinhaltet aber nicht die Aussage „Wir haben denselben Gott“ – schließlich kann ich auch zu jemandem sagen „Uns ist gemeinsam, dass wir unsere Ehefrauen lieben“, ohne dass der andere Angst haben muss, mich mit seiner Gattin im Bett zu erwischen, oder dass ich seine Frau und meine Frau irgendwie gleichsetze. Man kann darüber hinaus streiten, mit „der Allbarmherzige“ eine Bezeichnung für Gott zu wählen, die dem muslimischen Sprachgebrauch entspringt. Andererseits wird damit nichts über den Gott der Bibel gesagt, was nicht wahr wäre – und auch hier wird mit der unterstellten Gleichsetzung von Gott und Allah etwas hineininterpretiert, was nirgendwo gesagt wird.

„Die Verfasser des Antwortbriefes übernehmen wie selbstverständlich die Aussagen der Moslems über die „Einheit“ Gottes, obwohl diese die Verehrung Jesu Christi als Gott und Sohn Gottes ächten und ausschließen wollen. […] Der faule „Friede“ und „Dialog“ wird mit einer beschämenden Verleugnung des Sohnes Gottes erkauft.“

Ich mach’s kurz: Zum Thema Verleugnung habe ich mich schon geäußert (siehe oben). Darüber hinaus gelingt es mir auch zum Thema „Einheit Gottes“ nicht, im Text konkrete Passagen zu entdecken, die im Widerspruch zur Bibel stehen. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Gegenstand des Dialogs ist nach wie vor nicht „Wer hat recht?“, sondern „Wie können wir einen Weg finden, uns künftig nicht bis aufs Blut zu hassen?“. Und das könnte nach wie vor trotz unvereinbarer Standpunkte auch bezüglich der Dreieinigkeit möglich sein.

„Die Verfasser des Antwortbriefes gehen so weit, den „Propheten Mohammed“ mehrfach als glaubwürdige geistliche Autorität anzuführen und mit der Bibel auf dieselbe Ebene zu stellen.“

Nein. Die Verfasser des Antwortbriefes stellen einzelne Aussagen der Bibel in Bezug zu einzelnen Aussagen des Korans und vergleichen sie. Das ist etwas ganz anderes, als sie gleichzusetzen, sei es als geistliche Autorität oder sonstwie. Oder wie es ein geschätzter Professor von mir auszudrücken pflegte: „Wer behauptet, Äpfel und Birnen könne man nicht vergleichen, hat sich wohl nie Gedanken darüber gemacht, dass es bezüglich Form und Geschmack Unterschiede zwischen beiden gibt.“

„Das ist ja auch das Wesen jedes „Dialoges zwischen den Religionen“, der die Anerkenntnis voraussetzt: Wir verehren den gleichen Gott, und wir alle stützen uns auf Schriften oder Autoritäten, die auf ihre Weise Wahrheit enthalten. Wer den „Dialog“ führen will, der muß den Absolutheitsanspruch der Bibel als der geoffenbarten Wahrheit Gottes und des Herrn Jesus Christus als des einzigen Weges zu Gott aufgeben.“

Spätestens jetzt ist mein Anfangsverdacht bestätigt. Was für ein seltsames Verständnis von Dialog hier deutlich wird – der Verfasser geht anscheinend davon aus, dass man nur dann mit jemandem sprechen und nach Lösungen suchen kann, wenn man sich die Standpunkte des anderen zu eigen macht. Bezeichnenderweise unterscheidet er nicht zwischen verschiedenen Arten, einen Dialog zu führen, sondern spricht ausdrücklich von jedem Dialog. Nach dieser Logik müssten Offiziere der Heilsarmee obdachlos und regelmäßig betrunken sein, und Beziehungsprobleme wären eine Voraussetzung für die Mitarbeit bei Team F.

„Es ist für gläubige Christen selbstverständlich, die Moslems als Mitmenschen zu achten und zu lieben und mit ihnen in Frieden zusammenzuleben.“

Klingt super – mir stellt sich allerdings die Frage, wie das angesichts der Ablehnung eines jeden Dialogs ganz praktisch aussehen soll. Ist Achtung, Liebe und Frieden gegenüber Moslems – und darum geht es den Verfassern des „skandalösen“ Antwortbriefs – erst dann möglich, wenn die Moslems all ihre Standpunkte aufgeben und quasi bereits Christen sind? Oder sollte es nicht vielleicht doch zu schaffen sein, neben den vielen Dingen, bei denen kein Konsens möglich ist (Dreieinigkeit, das Wesen Jesu), zumindest einen Minimalkonsens im friedlichen Miteinander zu finden – ohne dabei das aufzugeben, was unseren Glauben in seinem Wesenskern ausmacht? Ich denke, man sollte es wenigstens ernsthaft versuchen.

„Daß solche Leitfiguren des Evangelikalismus wie Rick Warren und Bill Hybels […] sich nun öffentlich zum Dialog zwischen den Religionen bekennen, zeigt einmal mehr, daß ihre Lehren mit der Wahrheit der Bibel nicht vereinbar sind.“

Ich bin sehr vorsichtig, wenn es darum geht, anderen etwas abzusprechen oder Urteile zu fällen. Lieber investiere ich meine Energie darin, mit meinem Leben ein Beispiel dafür zu geben, wie ein entschiedener Christ meines Erachtens leben sollte. Das gelingt mir leider nicht immer, aber mit fortschreitender Zeit hoffentlich immer besser. Meine Hoffnung ist jedenfalls, dass diejenigen, die solche Forenbeiträge wie den hier kommentierten lesen, nicht nur nachplappern, sondern sich mit Hilfe der frei verfügbaren Original-Quellen selbst einen Eindruck verschaffen.

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