Cui bono?

Nach Elisabeth Kübler-Ross ist Zorn die zweite Phase des Trauer-Prozesses. Die Ereignisse, die sich am Samstag in der Dresdner Südvorstadt abgespielt haben, scheinen ihr Recht zu geben. Dort hatten Neonazis bundesweit zu einem „Trauermarsch“ anlässlich der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 aufgerufen und bei dieser Gelegenheit ein alternatives Wohnprojekt in Dresden-Löbtau angegriffen. Ein Amateurfilmer fing die Attacke mit der Kamera ein; Auschschnitte davon sieht man im folgenden Film, zusammen mit reichlich hilflos wirkenden Erklärungsversuchen des Dresdner Polizeipräsidenten Hanitsch:

Dass man von einer handvoll Polizeibeamter nicht erwarten kann, sich einem randalierenden Mob von rund zweihundert Neonazis entgegenzustellen – zugestanden. Dass die Polizei an diesem Tag zu wenig Einsatzkräfte vor Ort hatte, um schnell einzugreifen ohne dabei die Gesamtstrategie über Bord zu werfen – erklärbar angesichts der Tatsache, dass die Bereitschaftspolizei an diesem Tag noch andere Großeinsätze im Bundesgebiet zu bestreiten hatte. Die Einsatzleitung trägt damit meines Erachtens nach bisherigem Kenntnisstand keine Unterlassungsschuld dafür, dass es überhaupt zu dem Angriff auf das Wohnprojekt kommen konnte.

Allerdings wäre es eine Frage der Integrität gewesen, den Vorfall nicht einfach zu verschweigen. In der Folge hört, sieht und liest man in den Medien wenig darüber – die Schlagzeilen werden fast ausschließlich von randalierenden linken Chaoten beherrscht. Das wird den Ereignissen insofern gerecht, als am 19. Februar 2011 tatsächlich eindeutig mehr Gewalt von links als von rechts ausging. Trotzdem ist diese Einseitigkeit der Berichterstattung gleich doppelt problematisch: Erstens tut sie der ganz überwiegenden Mehrheit der Gegendemonstranten Unrecht, die mit ihrer Blockade zwar zivilen Ungehorsam geleistet haben, dabei aber friedlich geblieben sind. Letztlich ist es ihnen zu verdanken, dass die Neonazis an diesem Tag nicht marschieren konnten.

Zweitens gerät dadurch völlig aus dem Blick, mit wem man es auf der Gegenseite zu tun hatte. Die Leute, die angeblich nur um die behauptete (aber stichhaltig widerlegte) Zahl von „250.000“ Dresdner Bombentoten trauern wollten, zeigten durch Sprechchöre wie „Gegen Demokraten helfen nur Granaten“ oder den Angriff auf das Wohnprojekt einmal mehr ihr wahres Gesicht. Das sind keine frustrierten Bürger mit rechtskonservativen Ansichten – dass sind Gewalttäter, die die Menschrechte und deren Träger hemmungslos mit Füßen treten, die Verantwortlichen für den Holocaust verherrlichen und sich köstlich amüsieren über einen Rechtstaat, der seine Feinde schützt.

Durch die einseitige Berichterstattung dürften sich nun all jene bestätigt fühlen, die zwar den Linksextremismus völlig zurecht als Gefahr wahrnehmen, aber weitgehend blind sind für die Bedrohung von rechts. Davon gibt es in Sachsen viele. Nicht, weil sie mit den Neonazis sympathisieren – sondern weil viele Vertreter der bürgerlich-konservativen und kirchlichen Kreise alles Linke mit der DDR-Diktatur assoziieren und diesbezüglich mitunter einen regelrechten Beißreflex entwickelt haben, während die Komponente der persönlichen Erfahrung bei der Beurteilung von Rechtsextremisten fehlt.

Insgesamt können die Neonazis also mit dem 19. Februar 2011 zufrieden sein, trotz allen Ärgers über den ausgefallenen Marsch: Die Blockaden sind gründlich diskreditiert, man kann sich in bewährter Manier als Opfer gerieren und nächstes Jahr wird es erheblich schwieriger werden, die bürgerliche Mitte zum Widerstand gegen die „Trauerveranstaltungen“ zu moblisieren. Die Cocktail-Kirsche auf diesem dampfenden Haufen Scheiße ist, dass das alles nicht die Schuld der Medien, der Polizei oder der Rechten ist. Verantwortlich sind die, die auf Seiten der Gegendemonstrationen nicht zu friedlichem Protest bereit waren. Vielen Dank – Ihr habt nichts anderes erreicht, als den Nazis in die Hände zu spielen!

Nachtrag: Ein sehr lesenswerter Kommentar in der Sächsischen Zeitung.

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