Senf zur Landtagswahl in Baden-Württemberg

Am Sonntag ist mir einer meiner Standard-Sprüche zur Charakterisierung der politischen Landschaft in meiner alten Heimat Baden-Württemberg abhanden gekommen: „Die CDU kann dort einen Mülleimer als Spitzenkandidaten aufstellen und gewinnt immer noch jede Landtagswahl“, pflegte ich zu prognostizieren. Ich musste mich bekanntlich eines besseren belehren lassen. Droht jetzt eine Verstaatlichung der Daimler AG? Muss Mövenpick die gesamte Produktpalette auf Bio umstellen? Und wird die CDU den japanischen AKW-Betreiber Tepco wegen der verlorenen Wahl zivilrechtlich belangen?

Niemand wird bestreiten wollen, dass Grünen-Kandidat Kretschmann von der Reaktor-Katastrophe in Fukushima politisch profitiert hat. Doch diesen Umstand zum Haupt- oder gar einzigen Grund für die Abwahl der bisherigen Regierung zu erklären, ist realitätsfremd und zeigt eine der wesentlichen Ursachen für den Wahlausgang auf: Ein Politikstil, der im Wähler vor allem hirnloses Stimmvieh sieht. Damit meine ich noch nicht mal nur den Schwenk von CDU und FDP in Sachen Energiepolitik. Der hat sich zwar letzten Endes als kontraproduktiv erwiesen,weil die Mehrheit der Stimmberechtigten offensichtlich eine Politik wünscht, die von Prinzipien statt von Meinungsumfragen geprägt wird. Gleichzeitig war das Manöver aber nicht nur so offensichtlich wahltaktisch motiviert, dass man sich noch nicht mal richtig verarscht vorkommen wollte, sondern es war vor allem nachvollziehbar. So was muss man nicht honorieren, man muss sich aber auch nicht über Gebühr aufregen.

Rainer Brüderle hat also auf der BDI-Präsidiumssitzung nichts gesagt, was nicht eh schon alle wussten. Das eigentliche Ärgernis war die Art und Weise, auf die die Akteure mit dem Fauxpas umgegangen sind. Für wie beschränkt muss man die Öffentlichkeit halten, um ihr die Mär vom Protokollfehler aufzutischen? Schlimmer noch: Dachte der BDI ernsthaft, er kann die Situation retten, indem Geschäftsführer Schnappauf die „politische Verantwortung“ für die Indiskretion übernimmt? Wie soll das denn aussehen bei jemand, der kein politisches Mandat hat? Und warum sollte dieser Schritt den Wahlausgang beeinflussen – statt schwarz/gelb nicht zu wählen, wähle ich Werner Schnappauf nicht, weil er ja die Verantwortung übernommen hat?! Mal zum Mitschreiben, lieber BDI: Glaubwürdigkeit erlangt eine Regierung nicht zurück, indem ein Lobbyist die „Verantwortung“ für ihre Unglaubwürdigkeit übernimmt. Und so gelang Schnappauf, was Merkel & Co nicht schafften: Jetzt fühlte man sich verarscht.

Doch auch das allein hätte Mappaus noch nicht den Wahlsieg gekostet, wie der Blick nach Rheinland-Pfalz beweist: Wer wie CDU-Kandidatin Julia Klöckner zu Beginn fast 13% hinter der Regierungspartei zurückliegt und diesen Abstand dann auf 0,5% verkürzen kann, darf sich durchaus als eigentlicher Gewinner fühlen, selbst wenn es am Ende nicht gereicht hat. Dabei war Atomkraft in Rheinland-Pfalz nicht weniger Thema als in Baden-Württemberg. Nein, bei Mappus kam noch sein unnötig ruppiger Umgang mit den Gegnern von Stuttgart 21 dazu, die eben nicht alle linke Chaoten waren, sondern vielfach auch der politischen Mitte entstammten – CDU-Wähler, eigentlich, die aber ihrem als Atom-Hardliner bekannten Ministerpräsidenten die Bereitschaft für den angebotenen „ergebnisoffenen Dialog“ über die AKWs nicht mehr abnahmen. Und es kam dazu, dass Grünen-Kandidat Kretschmann so gar nicht zum Bürgerschreck taugt; er ist bekennender Katholik, Mitglied im Schützenverein, verheiratet und Vater von drei Kindern. Dazu kommt sein ruhiges, um Konsens bemühtes Auftreten. Sprich: Der Mann ist wählbar, auch im Ländle.

Man könnte also sagen: Zuerst hatte Mappus kein Glück mit seinem Herausforderer Kretschmann, und dann kam mit Fukushima auch noch Pech dazu. Wer nun aber sagt, die CDU habe wegen der Folgen des Erdbebens die Wahl verloren, argumentiert wie ein Raser, der auf einem vereisten Straßenabschnitt die Kontrolle über sein Auto verliert und dann dem Wetter die Schuld gibt. Das Wetter war Pech; Ursache des Unfalls war jedoch ein unangemessener Fahrstil. Offensichtlich fand man Mappus‘ „Fahrstil“ auch im Ländle unangemessen, wie die Umfragewerte vor dem Erdbeben in Japan belegen. Und das lässt sich in einem Bundesland, in dem die CDU seit mehr als einem halben Jahrhundert den Ministerpräsidenten stellt, nicht mit kurzfristigem Pech und Zufällen wegerklären. Immerhin kann man Mappus bescheinigen, dass er sich bei seinen öffentlichen Auftritten nach der Wahl als fairer Verlierer erwiesen hat. Es bleibt abzuwarten, ob seine Anhänger dieselbe Größe zeigen.

Festzuhalten bleibt ferner, dass der kommende Machtwechsel schon allein aus grundsätzlichen Erwägungen heraus zu begrüßen ist: Wenn eine Partei  57 Jahre lang regiert, führt das immer zu Filz und Klüngel. Das hat nichts mit der CDU zu tun, sondern mit den Mechanismen der Macht und kann entsprechend auch bei SPD-Regierungen beobachtet werden. Geben wir Winfried Kretschmann also eine Chance – der Mann macht nicht den Eindruck, als wäre er ein Sozialist, Wirrkopf oder in irgendeiner Form gemeingefährlich. Oder um es mit den Worten zu sagen, die einer meiner Facebook-Kontakte am Montag verwendet hat: „Interessanterweise ging heute morgen in Stuttgart wider Erwarten und besseres Wissen wieder die Sonne auf, die Menschen gingen ihrer Arbeit nach, bei Daimler und Bosch liefen die Bänder und ich befürchte, dass ich auch nächstes Wochenende wieder die Kehrwoche machen muss. Soviel zum Thema, die „Kommunisten“ sind unser Untergang.“

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