„Hier gibt’s auch normale Leute…“

2000 stellte sich mir eine Kommilitonin mit den Worten vor: „Ich bin aus Hoyerswerda – da kommen auch normale Leute her.“ Die dortigen Ausschreitungen gegen Migranten waren neun Jahre her, aber für viele Leute war (und ist) die Stadt in der Oberlausitz immer noch ein Synonym für Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Heute ist der Großraum Dresden auf dem besten Weg, ebenfalls so ein Synonym zu werden – er wäre es längst, wenn Dresden im Gegensatz zu Hoyerswerda nicht ein bundesweites „Gegen-Image“ als Kunst- und Kulturstadt hätte.

Doch dieses „Gegen-Image“ erodiert. PEGIDA, Freital, Meißen, die Steine auf Rotkreuz-Helfer in der Zeltstadt und jetzt Heidenau: Wenn ich mit Freunden und Verwandten von außerhalb telefoniere, ist die Frage „Was bitteschön ist bei Euch los?!“ inzwischen ein regelmäßiger Bestandteil des Gesprächs. Das macht mich einerseits traurig, weil ich seit 15 Jahren wirklich gerne in Dresden lebe und mich eigentlich mit dieser Stadt identifiziere. Niemand will sich für sein Zuhause schämen. Es macht mich andererseits wütend, weil ich hier so viele Leute kenne, die sich bei allem möglichen ereifern können – TTIP, Trinkwasser als Menschenrecht, Lebensrecht-Debatten, Elbbrücken – aber was da im Moment passiert, lässt sie anscheinend ziemlich kalt, oder sie sympathisieren sogar mal mehr, mal weniger heimlich damit.

Nun kenne ich auch viele Dresdner, die sich sehr für Flüchtlinge engagieren. Normale Leute, die an zu vielen Orten zu unspektakuläre Dinge tun, um es in die Tagesschau oder auf die Titelseite der FAZ zu schaffen. Trotzdem existieren sie, und zwar zu Tausenden. Aber wo bleibt die Empörung der breiten Masse, der viel beschworene Aufstand der Anständigen? Hunderte besoffene Neonazis versuchen ein Gebäude zu stürmen, das von viel zu wenigen Polizisten in einem Hagel von Steinen, Böllern und Bierflaschen gerade so verteidigt wird – und in diesem Gebäude Menschen, die zum Teil aus Kriegsgebieten geflüchtet sind. Geht uns eigentlich jegliche Empathie ab?

Die Cocktail-Kirsche auf dem Ganzen ist, dass nichts von alledem überraschend kommt: Wer die Stimmung auf den PEGIDA-Demonstrationen und Bürgerversammlungen im letzten Winter miterlebt hat, konnte, ja musste wissen, welches Potenzial an Menschenverachtung da bis weit in die Mitte der Dresdner Bürgerschaft herangewachsen ist. Dabei kommt es gar nicht darauf an, ob solche „besorgten Bürger“ persönlich Steine werfen und Asyl-Unterkünfte anzünden. Genau wie die applaudierenden Anwohner von Hoyerswerda im Herbst 1991 schaffen sie ein gesellschaftliches Klima, in dem Gewaltexzesse als nachvollziehbare Reaktion auf Versäumnisse von „denen da oben“ gelten, für die man bitte Verständnis haben muss.

Dass in Diskussionen über die Asylpolitik hässliche Meinungen vertreten werden, muss eine freie Gesellschaft ertragen können. Aber was sich in diesem Sommer im Großraum Dresden abspielt, ist nicht hinnehmbar. Hier kann man nicht mehr neutral sein, mit den Schultern zucken und „Was geht das mich an“ sagen – schweigen heißt zustimmen. Es ist allerhöchste Zeit, endlich den Mund aufzumachen!

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